Udo Kelter
10.10.2025
Werden Politiker mit wissenschaftlichem Hintergrund durch die Wissenschaftsfreiheit geschützt? Der Fall "Francesca Albanese"
NWF-Tagung "Agendawissenschaft", FFM, 10.10.2025


Publikationen zum Nachlesen

  1. Diese "Folien": kltr.de/nwf
  2. Udo Kelter: Werden Politiker mit wissenschaftlichem Hintergrund durch die Wissenschaftsfreiheit geschützt? Der Fall "Francesca Albanese". Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, 09.09.2025.
  3. Udo Kelter: Wissenschaftsfreiheit. Eine Einführung. Netzwerk Wissenschaftsfreiheit e.V., 30.06.2025. HTML-Version via: http://kltr.de/nwf

Fragen

Albanese (United Nations Special Rapporteur on the occupied Palestinian territories) fällt in die Kategorie "Politiker mit wissenschaftlichem Hintergrund"
  1. Sind die "Ausladungen" von solchen Personen Verstöße gegen deren Wissenschaftsfreiheit?
  2. Sind die Ausladungen von Albanese Verstöße gegen die Wissenschaftsfreiheit der Einladenden?
  3. Liegt hier Agenda-Wissenschaft, Wissenschaftsaktivismus oder Pseudo-Wissenschaft vor?


Bewertungen der Vorträge und der Absagen

  • Vorträge wurden als antisemitische Hetze verurteilt
    also Agendawissenschaft? oder Wissenschaftsaktivismus? (schöne Frage für die Diskussion)
  • Absagen wurden als Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit von Albanese bezeichnet

    z.B. Offener Brief von 77 Völkerrechtlern:

    "In den Versuchen, die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese am Sprechen an Universitäten zu hindern, sehen wir ... einen Verstoß gegen die im Grundgesetz und auch in internationalen Gewährleistungen der Menschenrechte verankerte Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit."

    Einspruch!


Unterscheiden: negative vs. positive Freiheit

Freiheit: unterstellt freien Willen

Gründe, warum der eigene Wille nicht realisiert wird:

  1. jemand hindert mich aktiv

    negative Freiheit: Abwesenheit von Behinderungen

  2. mir fehlen die nötigen Ressourcen

    positive Freiheit: Vorhandensein notwendiger Ressourcen


Unterscheiden: (Wissenschafts-) Freiheit als mentaler Zustand und Durchsetzung dieses Zustands

  • Zustand: negative / positive Freiheit ist primär subjektiver, mentaler Zustand - nur der erzeugt die gewünschten nützlichen Effekte
  • Durchsetzung des Zustands: Rechte / Rechtsordnung / Verhaltenskodizes: soll Zustand der mentalen Freiheit durchsetzen / erzeugen

    führt zu:

    1. Schutzansprüchen (für negative W.-Freiheit)

      (hier liegt die Mission des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit!)

    2. Leistungsansprüchen (für positive W.-Freiheit)
    Unterstellt einen "Protektor", der die Ansprüche erfüllt, also Angriffe abwehrt bzw. Ressourcen liefert


Problem bei der Durchsetzung der positiven Wissenschaftsfreiheit

Ressourcen sind immer endlich, andere Anspruchsteller konkurrieren, daher bestenfalls Recht auf faire Zuteilung (Wissenschaftspolitik macht es komplizierter) ... daher:

Aus der Wissenschaftsfreiheit als Norm kann man grundsätzlich keinen Leistungsanspruch ableiten.

zugespitzt formuliert:

Das Grundrecht Wissenschaftsfreiheit ist grundsätzlich keine positive Freiheit!

Im Gegensatz dazu:

Das Grundrecht Wissenschaftsfreiheit ist grundsätzlich eine uneingeschränkte negative Freiheit!

Konsequenz:

  • F. Albanese, Dr. Alice Weidel, Dr. Markus Söder, Dr. Alexander Gauland usw. usw. haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Ressourcen einer Universität, bei der sie kein Mitarbeiter / Mitglied sind, insb. Vortragsräume
  • Ansprüche haben nur die Mitglieder einer Universität,

    grundsätzlich nur zur Erfüllung ihrer dienstlichen Aufgaben, nicht für private Zwecke

    auch nicht für politischen Aktivismus (knifflig wegen third mission, Gleichbehandlung etc.)

  • -> Wissenschaftsfreiheit von Albanese wurde nicht verletzt



Epistemische Autorität

Problem:
  • Wissenschaftsfreiheit gilt nur für wissenschaftlichen Tätigkeiten
  • Wissenschaftlichkeit kann immer erst im nachhinein beurteilt werden
  • muß im Vorfeld prognostiziert werden - unsicher
Lösung: beurteilt wird die Person, die die Tätigkeit ausführen wird

Personen mit wissenschaftliche Meriten sowie Mitglieder von Universitäten gelten als epistemische Autoritäten

deren Tätigkeiten gelten automatisch als wissenschaftlich


Funktionäre und Politiker sind keine epistemischen Autoritäten

  • sind von Berufs wegen parteilich, setzen Interessen durch
  • wollen i.d.R. keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gewinnen, sondern Meinungen beeinflussen
  • erheben nicht den Anspruch, eine epistemische Autorität zu sein
  • können im Einzelfall wissenschaftlich tätig sein, Beweislast liegt hier beim Politiker


Ist Albanese eine epistemische Autorität?

  • Wird von ihren Anhängern als epistemische Autorität gepriesen ("international anerkannte Expertin" o.ä.)
  • der Verweis auf ihre Wissenschaftsfreiheit unterstellt, daß sie eine epistemische Autorität ist
  • Sie verweist selber auf ihre Publikationen und ihren Status als "Affiliate Scholar" einer Universität
Die Fakten:
  • nicht promoviert
  • Bachelor in Rechtswissenschaft der Universität Pisa und ein Master (LLM) der School of Oriental and African Studies der University of London.
  • bezeichnet sich regelmäßig als "international lawyer", ist aber nirgends als Rechtsanwalt zugelassen
  • wird als Other Affiliated Scholar am Institute for the Study of International Migration at Georgetown University, aber keinerlei Hinweise dort auf wissenschaftliche Aktivitäten
summa summarum: wenig positives
  • leugnet regelmäßig Greueltaten der Hamas, z.B. die massenhaften und systematischen Vergewaltigungen jüdischer Frauen
  • stimmte der Aussage zu, Juden seien Menschenfresser
  • behauptete mehrfach, die Israelis hätten in Gaza 380.000 Kinder von 0-5 Jahren ermordet
Fazit: gröbste Verstöße gegen Standards für wissenschaftliches Arbeiten, verbreitet Verschwörungstheorien

-> 2. Argument für These: die Wissenschaftsfreiheit von Albanese wurde nicht verletzt



Wissenschaftsfreiheit der Einladenden

  • Wissenschaftler können beliebige Personen, auch ohne wissenschaftliche Qualifikation, in ihre Forschung und Lehre integrieren und dazu zu sich einladen
  • können ihre Leistungsansprüche an die Universität - sofern vorhanden - nicht willkürlich auf externe Gäste übertragen
  • Vorträge von Albanese in großen Hörsälen:
    nicht integriert in Forschung oder Lehre der Einladenden

    daher: Absage ist keine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit der Einladenden

These: Wer jemanden wie Albanese einen öffentlichen Auftritt an seiner Uni verschaffen will, ist wahrscheinlich Agendawissenschaftler


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