Darunter waren viele Klagen, durch die Absage des Vortrags sei die Wissenschaftsfreiheit verletzt worden. In diesem Blogpost gehe ich dieser Frage nach und komme zur Einschätzung, daß diese Cancelung eines Vortrags nur ein Symptom einer viel umfassenderen Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit ist, bei der u.a. die HU eine Rolle spielt.
Die Absage des Vortrags - dessen Inhalt man noch nicht kannte - basiert also auf einer grundlegenden moralischen Diskreditierung der Referentin. Vor diesem Hintergrund erscheint der Vorschlag der HU, den Vortrag später nachzuholen, unlogisch. Der diagnostizierte charakterliche Mangel der Referentin besteht ja weiterhin: sie schwört ihrer Meinung, es gebe nur zwei biologische Geschlechter und anderslautende Behauptungen seien falsch, nicht ab, sondern hat sie im Gegenteil mehrfach wiederholt. Konsequenterweise kann die HU eigentlich auch künftig keine Vorträge mit dieser Referentin veranstalten bzw. müßte den inzwischen angekündigten Folgetermin wegen potentieller Transfeindlichkeit gleich wieder absagen.
Das Verhalten der HU ist eindeutig ein Versuch, die Meinungsfreiheit der Referentin einzuschränken. Wenn man den Begriff Wissenschaftsfreiheit, speziell die Freiheit der Lehre, weit faßt und nicht nur auf die universitäre Lehre, sondern auch die Informierung der Öffentlichkeit bezieht, liegt auch eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit vor.
Wie ernst die HU ihre Begründung der Absage meint, ist nicht restlos klar. Überrascht liest man im Leitbild der HU nämlich den Satz "Die Gleichstellung von Frauen und Männern in Wissenschaft und Gesellschaft ist ein vorrangiges ... Anliegen ...". Propagiert die HU hier etwa explizit die Zweigeschlechtlichkeit? Was bedeuten hier "Mann" und "Frau"? Rätselhaft bleibt auch, wie die HU ihre moralische Abwertung einer Mitarbeiterin "mit ihrer Ablehnung jeder Form von Diskriminierung, Intoleranz und kultureller Selbstüberhöhung" in Einklang bringt.
Motivieren kann man das massive Einschreiten der HU allenfalls, wenn das Opfer der vermeintlichen Aggression besonders hilflos und schutzbedürftig ist. Das entspräche der Selbstviktimisierung mancher Transaktivisten, es stellt aber die Realität auf den Kopf(1). Welche Macht Transaktivisten über die Sprache und (geschlechter-) politische Kommunikation haben, wird seit langem kritisiert und wurde kürzlich wieder einmal besonders deutlich, als Judge Ketanji Brown Jackson bei einer öffentlichen Anhörung gefragt wurde, ob sie den Begriff "Frau" definieren könne, und sie dies glatt verneinte. Sie log offensichtlich, ihre aufkommende Panik war unübersehbar. Die Panik von Ketanji Brown Jackson ist verständlich, jedes falsche Wort hätte sie zur Zielscheibe transaktivistischer Attacken machen können. Welche Kampfkraft, um nicht zu sagen welchen Killerinstinkt, Transaktivisten(2) haben, haben auch die sehr bekannten Fälle J.K. Rowling und Kathleen Stock und zahlreiche weniger bekannte Fälle gezeigt, die seit Jahren als krasse Verletzungen der Wissenschaftsfreiheit gut dokumentiert sind(3). Der Transaktivismus macht aus seiner Schlagkraft auch kein Geheimnis. Eine der Koordinationszentralen, https://transmediawatch.org, präsentiert stolz eine Liste von über 100 lokalen Kooperationspartnern und umfangreiches Propaganda- und Trainingsmaterial.
Vor diesem Hintergrund ist die paternalistische Haltung der HU, Transsexuelle als Gruppe mit massiven Mitteln vor Kritik oder Widerspruch in den Debatten zu schützen, vollkommen realitätsbefreit. Die Fehleinschätzung der Macht des Transaktivismus ist so auffällig, daß man eher den Eindruck hat, daß die HU sich selber als Teil dieser Ideologie versteht oder zumindest vor ihr auf die Knie geht.
Beispielsweise ist in der klassischen Homosexuellenbewegung der Begriff "Geschlecht" eindeutig biologisch definiert: Schwule sind biologische Männer, die vom männlichen Phänotyp sexuell erregt werden und erotische Beziehungen dazu anstreben (Lesben analog). Radikale Transsexuelle streiten jede Relevanz des Phänotyps für den Geschlechtsbegriff ab - ideengeschichtlich ein Erbe des Gender-Feminismus - und definieren "Geschlecht" als eine willentliche, von außen nicht feststellbare Zuordnung zu einer der beiden abstrakten Kategorien "Mann" und "Frau", deren funktionale Bedeutung unklar bleibt. Dieser Logik zufolge ist ein Penis ein ganz normales weibliches Körperteil. Während Homosexuelle und Transsexuelle "Geschlecht" als eine binäre, unveränderbare, von Geburt an festliegende Eigenschaft ansehen, bestreiten nichtbinäre und genderfluide Identitäten die Binarität bzw. Unveränderlichkeit. Asexuelle verneinen im Kern, daß es überhaupt so etwas wie ein Geschlecht gibt in dem Sinn, Personen nach sexualitätsbezogenen Eigenschaften zu kategorisieren und unterschiedlich behandeln zu können. Selbst wenn man nur die Transidentität bzw. -Sexualität betrachtet, findet man gravierende Mängel in den Definitionen, s. Byrne (2019).
Auch nach jahrzehntelangen internen Debatten strotzt die LBGT*-Bewegung nur so vor inneren Widersprüchen und Kategorienfehlern in elementaren Begriffen. Man kann daher prinzipiell nicht alle Strömungen gleichzeitig befürworten. Die heftigen internen Machtkämpfe innerhalb der LBGT*-Bewegung sind zwangsläufige Folge dieser logischen Widersprüche. Daß grundlegende logische Widersprüche als "Diversität" glorifiziert werden, löst das Problem nicht.
Dies führt zu der Frage, was die HU (und viele andere Universitäten) dazu bringt, die LBGT*-Bewegung in offiziellen Deklamationen als ganze zu unterstützen und die logischen Widersprüche und die internen Machtkämpfe zu ignorieren. Erklären kann man es ggf. mit pluralistischer Ignoranz, Blasenbildungen oder anderen sozialpsychologischen Theorien. Diese Erklärungsansätze ändern aber nichts daran, daß man hier die elementare Logik außer Kraft setzt, was letztlich Wissenschaftsfeindlichkeit auf einer ganz elementaren Stufe bedeutet.
Ob die offiziellen Unterstützungen der gesamten LBGT*-Bewegung tatsächlich glaubhaft sind, ist indes nicht klar. Wenn man die tatsächlichen Aktionen der HU berücksichtigt, dann nimmt die HU deutlich Partei zugunsten des mehr oder weniger radikalen Transaktivismus.
Als Liberaler halte ich es für ein Unding, daß Universitäten (genauer gesagt die Leitungsgremien einer Universität im Namen der Universität) in allgemeinen gesellschaftlichen Konflikten einseitig Partei ergreifen. Diese Frage betrifft aber nicht die Wissenschaftsfreiheit und soll daher hier nicht vertieft werden.
Eine wesentliche Forderung radikaler Transaktivisten ist, daß Äußerungen nicht zulässig und zu unterbinden sind, wenn sie die Gefühle von Transsexuellen verletzen. Damit wird im Prinzip die Freiheit von Forschung und Lehre den sexuellen Gefühlen bzw. neo-religiösen Dogmen bestimmter Gruppen untergeordnet. Der eigentliche Skandal im Verhalten der HU ist, daß sie diesen grundlegenden Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit implizit mitträgt und nicht energisch ablehnt.
Als Indiz für diese Hypothese meldete sich im vorliegenden Fall prompt eine grüne Funktionärin von einer anderen Universität mit der Ankündigung zu Worte, sie und andere würden künftig Frau Vollbrecht (und alle, die eine gewisse Gesinnungsprüfung nicht bestehen) bei Bewerbungen diskriminieren. Diese Drohung sollte man ernst nehmen. Aus den USA liegen reihenweise Berichte über die ideologische Säuberung des wissenschaftlichen Personals in den letzten ca. 10 Jahren vor. Daß interessierte Kreise eine ähnliche Entwicklung in Deutschland anstreben, liegt auf der Hand.
(1) An dieser Stelle muß vor dem Fehlschluß gewarnt werden, die zweifellos vorhandene Bedrohung von Transsexuellen in bestimmten Situationen mache diese überall zu Opfern und Unschuldslämmern. Erst recht gilt das für Transaktivisten.
(2) Zur Unterscheidung von Transaktivisten und Transsexuellen: Ein sehr großer Teil der Transaktivisten, die öffentlich oder anonym in Twitter-Mobs aktiv sind, ist offenbar nicht selber transident bzw. transsexuell. Umgekehrt ist ein vermutlich sehr großer Teil der Transsexuellen nicht aktivistisch, ist also in der Öffentlichkeit unsichtbar, denn dies wäre eine Selbstoffenbarung, die man mit allen Mitteln verhindern will. Insofern ist der öffentlich sichtbare Transaktivismus wahrscheinlich nicht annähernd repräsentativ für die Gruppe der Transsexuellen. Daß die besonders schrillen Stimmen am meisten gehört werden, trägt zusätzlich zu einer verzerrten Wahrnehmung der Transsexuellen bei.
(3) Man fragt sich, ob "Transfeindlichkeit" vielleicht Feindlichkeit von Transaktivisten und nicht Feindlichkeit gegen Transsexuelle bedeutet.
(4) Eine genauere Darstellung erfordert wesentlich mehr Platz, wenn nicht sogar ein ganzes Buch. Die innere Unlogik des LBGT*-Aktivismus ist im übrigen schon seit Jahren in diversen Publikationen, darunter z.B. Byrne (2019), ausführlich analysiert worden; eine entsprechende Literaturübersicht wird in Kürze nachgereicht.